Warum wir keine Helden mehr brauchen

Wir sind in der Krise.

In einer Umweltkrise, einer Systemkrise, einer Wirtschaftskrise, einer Gesellschaftskrise.

Keine davon ist wirklich gefährlich – bis auf die Umweltkrise. Nicht für die Umwelt, sondern für den Menschen. Wir leben in Zeiten, in denen die Frage, ob unsere Spezies in den kommenden Jahrzehnten überleben wird, überhaupt gestellt wird. 

Wir stehen als Menschheit vor immensen Herausforderungen und extrem komplexen Zusammenhängen. Das ist mindestens seit der Coronapandemie keine Neuigkeit mehr. Wie gehen wir damit um, wenn eigentlich eine Herausforderung in unserem Leben schon mehr als genug zu verdauen und zu händeln wäre? Wie soll ich mich um die Umweltkrise kümmern, wenn meine Eltern pflegebedürftig sind oder meine Kinder schulpflichtig? Wie soll ich mich mit dem Artensterben beschäftigen, wenn ich es kaum schaffe meine Miete und etwas zu Essen zu verdienen? Warum soll ich mich um die Umwelt kümmern, wenn wir so gravierende strukturelle Probleme wie Rassismus, Kolonialismus, Rechtspopulismus oder Sexismus adressieren müssen? 

Wir sind einfach in sehr herausfordernden Zeiten. Das hat sich lange angebahnt und Viele haben schon eine Ahnung von dem, was wir hinter uns lassen. Charles Eisenstein nennt es die „World of Separation.“ Eine Welt, die geprägt ist von Konkurrenz, Einsamkeit, Heldentum, Trennung und Kampf – Alles ist ein „Um-Zu“ oder ein „Entweder-Oder.“ Im Körper fühlt sich das an zum Beispiel wie Kontraktion, Zusammenziehen, Unbeweglichkeit, Angst, Enge, Starrheit, Dissoziation, Wut, Ohnmacht oder Orientierungslosigkeit. 

Wie gehen wir mit diesen Herausforderungen um? Eine natürliche Reaktion, die wir in den letzten Jahrhunderten unserer Evolutionsgeschichte angewendet haben, ist Flucht. Zum Beispiel innere Flucht. Abwenden, von dem, was um uns herum passiert. Wegsehen, wenn jemand auf der Straße angegriffen wird, wenn wir Hassreden hören oder tote Bienen auf dem Weg liegen sehen. 

Oder Angriff. Zum Beispiel stundenlange Debatten darüber, warum man für oder gegen etwas sein sollte, Anzünden von Autos oder gewaltsame Proteste. 

Beides sind Handlungsstrategien, die wir oft aus einem Paradigma der Trennung heraus praktiziert werden. Eine Trennung von uns selbst, weil wir uns nicht ganz bewusst machen, wie betroffen wir eigentlich wirklich sind und eine Trennung von unserem Gegenüber, weil wir die Möglichkeit, dass wir beide Recht haben könnten, kaum in uns selbst akzeptieren können.

Wie können wir es anders machen und was steht uns dann bevor? Eine Welt der Vielseitigkeit und der Beziehungen. 

Andreas Weber beschreibt es so, dass sich das Leben kontinuierlich selbst komplexer machen will, indem es unablässig neue Beziehungen kreiert und bestrebt ist die eigene Diversität zu erhöhen. Zumindest das scheint uns in den letzten 2.000 Jahren exzellent gelungen zu sein.

Betrachtet auf unseren eigenen „individuellen“ Organismus heißt das mit uns selbst in Beziehung gehen. Selbstmitgefühl praktizieren, Meditieren, die eigene Schöpfungskraft kultivieren, Singen, Malen, Tanzen. Alles, was uns näher in den Kontakt mit unseren Bedürfnissen bringt und unser Sein mehr in uns selbst erleben lässt, macht uns berührbarer, empfindsamer und lebendiger. 

Im Hinblick auf interpersonelle Zusammenhänge bedeutet das, eine Beziehungskultur mit Menschen, Lebewesen und Systemen zu kultivieren, in der wir möglichst viel Mitgefühl für die Außenwelt entwickeln. Thich Nhat Hanh nennt es Interbeing. In dem Moment, in dem wir unser Gegenüber in ihrem/ seinem Anliegen empfinden können, sind wir auch in der Lage zu spüren, wie sich unsere eigenen Entscheidungen auf einander auswirken. 

Daraus kann sich eine neue Art des Handelns entwickeln. Insbesondere für aktivistische Menschen möchte ich einen neuen Begriff prägen. Den des Inter-Activism. Ein umweltpolitisches Handeln, das sich aus einer tiefen Empfindsamkeit und einer gemeinsamen Beziehungskultur manifestiert. Ein Aktivismus, der nicht spaltet, sondern Perspektiven zusammenführt, reorganisiert und nach dem sucht, was wir zwischeneinander noch nicht kennen können. Ein mutiger, zarter, liebevoller und zutiefst menschlicher Aktivismus.

Komplexität kann auch verstanden werden als ein sehr vielseitiges Beziehungsgeflecht mit wechselseitigen Abhängigkeiten, Synergien und Kipppunkten. Das heißt, wenn wir eine Beziehung verändern, kann es das ganze System verändern. Wenn wir uns nicht mehr nur als Individuum betrachten, sondern auch als Teil eines komplexen Beziehungsgeflechtes aus Menschen, Systemen, Gedanken und Lebewesen, dann hat jede Handlung, die wir ausüben, jede Beziehung, die wir prägen, Einfuss auf alles, mit dem wir zusammenhängen. Beispielsweise habe ich letztes Jahr mit 2 Menschen an einem Projekt gearbeitet. Eine Person davon war bei einem Treffen sehr betroffen von ihrer krebskranken, kämpfenden besten Freundin. Wir haben es in unsere Zusammenarbeit einfließen lassen, Beziehungs(raum) füreinander geschaffen und unsere Vertrauenskultur damit gestärkt. Im Sommer habe ich die beste Freundin in einem ganz anderen Kontext kennengelernt und erst im Verlauf des Gesprächs verstanden, wer sie ist. Ich habe ihr davon erzählt wie sie uns an das Wesentliche erinnert hat und welchen Einfluss sie auf meine Beziehungen innerhalb des Teams genommen hat.

Wir waren beide sehr berührt davon, wie wir, ohne uns zu kennen unsere Leben beeinflusst haben. 

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