Warum wir uns nicht über die Klimakrise informieren brauchen, um etwas zu verändern

Ich sitze in einem Kreis von 30 Menschen, die sich mit Deep Adaptation in der Klimakrise beschäftigen wollen. Dafür lese ich einen Text mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen vor. Ich versuche langsam zu lesen und die Worte zu spüren, während ich sie vorlese. Es fällt mir schwer mich davon berühren zu lassen, dabei kenne ich den Inhalt und habe ihn in verschiedenen Versionen die letzten Jahre immer wieder gehört.

Wir können Informationen nur tiefer verarbeiten, wenn wir entspannt sind.

Wir befinden uns inmitten des Informationszeitalters. Man könnte die Menschen heute als InformationsmillionärInnen bezeichnen. Was wir dabei sehr oft nicht beachten ist, wie und ob wir den Inhalt verarbeiten können. Nach der Polyvagalen Theorie von Stephen Porges können Menschen und Säugetiere nur „richtig zuhören“, also den Inhalt einer Information verarbeiten, wenn sie sich sicher fühlen, d.h. das parasympathische Nervensystem ist aktiv. Viele Menschen verbinden damit ein Gefühl der Entspannung, Erdung oder tiefe Atmung. Sind wir in Aktion mit Etwas oder Jemandem fährt das sympathische Nervensystem hoch, unser Adrenalinspiegel steigt und wir fokussieren uns; die eigene Perspektive wird schmaler. Dieses Nervensystem wird auch aktiv, wenn wir Gefahr wahrnehmen. Im Laufe unserer Sozialisation lernen wir, was gefährlich ist und was sicher, sodass sich unsere Nervensysteme unterbewusst je nach Situation gegenseitig regulieren können.[1]

Lesen wir einen Text mit Worten, die das Nervensystem hinsichtlich Gefahr aktivieren, verschließen wir uns, um uns davor zu schützen. Zur Folge wenden wir uns von dem Inhalt ab. Ein sehr gesunder Schutzmechanismus.

Wir brauchen sichere Räume, in denen wir schwierige Informationen verarbeiten können.

In unserer Kultur des Informationsüberflusses berücksichtigen wir in den meisten Fällen nicht, in welchem Umfeld wir oder der Informationsempfänger sich informieren. In einem geschlossenen Raum voll mit Fremden, begleitet von lauten Geräuschen und dem Fokus nicht den Ausstieg zu verpassen, lesen viele Menschen morgens Nachrichten auf ihrem Smartphone. Es mag keine Herausforderung sein zu erfahren, wie das Wetter sein wird. Möchten wir uns jedoch bewusst mit bestimmten Informationen beschäftigen, brauchen wir ein Umfeld, in dem wir uns entspannen können. Das kann eine ruhige Umgebung sein, ein nahestehender Mensch oder die Zeit direkt nach dem Aufstehen. Beim individuellen Sicherheitsempfinden gibt es keine Grenzen.

Enthalten die Informationen einen Bezug zu unserem eigenen Leben, unseren Werten und unserem Selbstverständnis - das könnte bei der Klimakrise der Fall sein- müssen wir uns bewusst machen WIE wir Informationen miteinander teilen. Wir brauchen sichere Räume und eine sichere Kultur miteinander, um die Komplexität der Klimakrise in uns in Entspannung wirken zu lassen.

Im Ansatz der Deep Adaptation von Jem Bendell geht es darum, Information tiefer zu verarbeiten, um uns als Menschheit eine tiefe Anpassung zu ermöglichen. Ein Kernelement ist in Zeiten der Krise nicht in Aktionismus, also sympathischer Überaktivierung, zu verfallen, sondern sich bewusst berühren zu lassen von der möglichen Bedeutung. Um es mit Otto Scharmers Worten zu sagen: Wir müssen uns begegnen und die Informationen über die Klimakrise miteinander in die Tiefen des „U“s nehmen, um von dort aus eine sozial innovative Lösung entwickeln zu können.

In Zeiten der Krise brauchen wir keinen wilden Aktionismus, sondern soziale Innovationen.

Ich lasse mich während des Vorlesens wenig von den Inhalten berühren, denn ich sitze vor 30 Menschen, denen ich vor einer halben Stunde das erste Mal begegnet bin. Es ist angebracht, dass sich mein sympathisches Nervensystem aktiviert. Ich atme bewusst tiefer, gehe in Kontakt mit meinem Co-Facilitator und entspanne mich wieder.

Genau dafür sind wir an diesem Samstagmorgen da, um gemeinsam mit diesen 30 Menschen einen Begegnungsraum zu kreieren, in dem JedeR einzelne sich mit einem sicheren Gruppencontainer von einem Aspekt der Klimakrise berühren lassen kann.

***

[1] Es kann sein, dass ich vor Jahrzehnten in einer Situation gelernt habe Menschen, die eine dicke schwarze Jacke tragen sind gefährlich. Folglich wird sich mein sympathisches Nervensystem aktivieren, wenn ich jemanden mit einer schwarzen Jacke auf der Straße sehe, denn mein Organismus will sich mich vor einer potentiellen Gefahr schützen. Mir werden Menschen in schwarzen Jacken womöglich schneller auffallen als Personen mit einer weißen Jacke.

Vgl.

The Polyvagal Podcast https://open.spotify.com/episode/2uMToN5VFgU1epqJsX22lL

https://www.stephenporges.com/

https://www.lifeworth.com/deepadaptation.pdf

https://www.presencing.org/aboutus/theory-u

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