Mit inkompetenten Vorgesetzten umgehen

In Gesprächen mit Trainingsteilnehmenden, Mitarbeitenden oder anderen Menschen, denen eine Führungskraft vorangestellt ist, erlebe ich häufig den impliziten Vorwurf von Inkompetenz in Richtung der Chefetage. Danach frage ich mich oft, wie es kommt, dass so viele Menschen in Führungs- oder Machtpositionen landen, obwohl sie dafür nicht die Kompetenz mitbringen. Die Perspektive von Entwicklungstrauma liefert hier einen wertvollen und hilfreichen Blick. Hat ein Kind beispielsweise chronisch überforderte Bezugspersonen oder wird sich viel selbst überlassen, obwohl es gesunde Grenzen und klare Strukturen bräuchte, findet es sich häufig in Situationen wieder, in denen es mit Unsicherheit und Hilflosigkeit umgehen muss, weil niemand da ist, um diese Verantwortung zu tragen. Um mit dieser existenziellen Not umzugehen, ist eine mögliche Strategie, die Verantwortung selbst zu übernehmen. Im Erwachsenenalter finden sich häufig genau solche Entwicklungserlebnisse bei Menschen in Leitungsfunktionen. Verantwortung wird nicht aus Kompetenz oder als natürlicher Reifeschritt übernommen, sondern aus fataler innerer Not, die den meisten selbst nicht bewusst ist. Es wird für solche Menschen wie die zweite Muttersprache, sich Situationen zu schaffen, die von unangemessen viel Verantwortungsübernahme und Überforderung geprägt sind. Das Wort Burn-out klingelt in den Ohren und es scheint fast offensichtlich, wie sehr das zu ungesunden Mechanismen im Erwachsenenleben führen kann.

An dieser Stelle braucht es in der Zusammenarbeit ganz viel liebevollen Kontakt und sanftes Neuverteilen von Verantwortung. Und vor allem das Anerkennen, dass wir alle zu Systemen beitragen, in denen Verantwortung ungesund verteilt wird. Inkompetenz in einem Arbeitssystem aufzulösen ist sowohl eine strukturelle als auch kulturelle Aufgabe, die Zeit und gegebenenfalls auch externe Unterstützung braucht. Dennoch möchte ich dir ein paar Erfahrungsbausteine mitgeben, die dir das Arbeitsleben als MitarbeiterIn hoffentlich erleichtern.

Akzeptiere deine Grenzen.
Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen MitarbeiterIn und Führungskraft kann sehr frustrierend und kräftezehrend sein, insbesondere, wenn der eigene Arbeitsbereich davon negativ beeinflusst wird. Es kann verlockend sein zu versuchen, den Chef zu ändern, um die eigene Lage zu verbessern. Es ist jedoch sehr wichtig anzuerkennen, dass es ein Machtverhältnis zwischen euch gibt und damit einhergehende Handlungsgrenzen respektiert werden sollten.

Vermeide Vorwürfe und Schuldsuche.
Auch wenn du möglicherweise unter dem Verhalten deiner Chefin leidest, vergiss niemals, dass viele in ihrer Verantwortungsrolle sind, weil ihr Nervensystem signalisiert „Ich bin hier in Lebensgefahr.“ Ressentiments, die sich möglicherweise über die Zeit aufgetürmt haben, brauchen ihren eigenen sicheren Rahmen und sollten separat aufgearbeitet werden.

Baue gezielt Vertrauen auf.
Sei zuverlässig und verbindlich, sodass deine Führungskraft Sicherheit auf eurer Arbeitsebene findet. Finde heraus, was deiner Vorgesetzten hilft, dir gegenüber oder sogar in eurem Team Vertrauen aufzubauen. Identifiziert Faktoren, die Unsicherheit schaffen, und reduziert sie gezielt.

Wertschätzendes Feedback.
Insbesondere an Menschen in Leitungsrollen wird häufig ein hoher Anspruch gestellt, was entspanntes Fehlermachen nahezu unmöglich macht. Viele Führungskräfte bekommen selten Feedback von ihren Mitarbeitenden, sodass sie selbst wenig dazu lernen können oder eine realistische Außenperspektive bekommen. Sei mutig und biete deiner Führungskraft Feedback an. Sprich regelmäßig Wertschätzung aus und hebe die Situationen aus eurer Zusammenarbeit hervor, die für dich besonders hilfreich waren.

Biete regelmäßig einen mitfühlenden Kontakt an.
Menschen in Leitungsrollen sind häufig im Modus „Einzelkämpfer“ unterwegs und blenden oft aus, dass es andere Menschen um sie herum gibt, die sie unterstützen könnten. Um aus diesem Stressmodus herauszukommen, braucht es Beziehung und ehrlichen, authentischen Kontakt. Das muss kein Deep Talk sein, sondern sollte im Idealfall eine Ebene sein, auf der sich dein Chef selbst wohlfühlt.

Fordere Priorisierung ein.
Eine Aufgabe, um die keine Führungskraft herumkommen sollte, ist es, für ihre Mitarbeitenden Arbeit zu priorisieren. Chronische Überlastung entsteht besonders dann, wenn unklar ist, was die wesentlichen entscheidenden Dinge sind, die zu tun sind. Indem deine Chefin beispielsweise für dich entscheidet, welche Aufgabe du zuerst bearbeiten sollst, schafft ihr nicht nur organisatorische Klarheit, sondern auch Transparenz und eindeutige Verantwortungsverteilung in eurem Arbeitsfluss.

Trage dazu bei, eine Organisationskultur aufzubauen, die Selbstfürsorge und Selbstbestimmung unterstützt.
Auch wenn es nicht dein Verantwortungsbereich ist, die Organisationskultur zu verändern, kannst du dennoch Situationen verstärken, in denen ihr im Kollegium etwas Gutes für euch tut. Sprecht hierarchieübergreifend darüber, wie es euch gesundheitlich, physisch und psychisch geht und was dazu beitragen könnte, das zu verbessern.

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Wie führe ich in die Führung